Geschäftsführerhaftung: Überwachungsverschulden, eigenes Unvermögen

Tax Call - Die Waage der Justitia

BFH vom 15.11.2022, Az VII R 23/19

 

Sachverhalt:

Der Geschäftsführer einer GmbH kann sich gegenüber der Haftungsinanspruchnahme nicht darauf berufen, dass er aufgrund seiner persönlichen Fähigkeiten nicht in der Lage gewesen sei, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme der Geschäftsführung absehen bzw. das Amt niederlegen.

 

Aus dem Urteil:

Gem. § 191 Abs. 1 Satz 1 Alternative 1 AO kann, wer kraft Gesetzes für eine Steuer haftet (Haftungsschuldner), durch Haftungsbescheid in Anspruch genommen werden. Gem. § 69 Satz 1 AO und § 34 Abs. 1 Satz 1 AO in Verbindung mit § 35 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung haftet der Geschäftsführer einer GmbH, soweit deren Verbindlichkeiten aus dem Steuerschuldverhältnis in Folge vorsätzlicher oder grobfahrlässiger Verletzung der ihm auferlegten Pflichten nicht oder nicht rechtzeitig festgesetzt oder erfüllt oder insoweit infolgedessen Steuervergütungen oder Steuererstattungen ohne rechtlichen Grund gezahlt werden.

Der erkennende Senat hat zwar entschieden, dass der Geschäftsführer einer GmbH nicht verpflichtet ist, die steuerlichen Angelegenheiten der GmbH selbst zu erledigen. Er ist vielmehr grundsätzlich befugt, die Erledigungen anderen Personen zu übertragen.

Der Geschäftsführer darf aber nur innerhalb gewisser Grenzen der Redlichkeit seiner Hilfsperson Vertrauen schenken, wenn er sich nicht dem Vorwurf einer grob fahrlässigen Pflichtverletzung aussetzen will. Er ist daher verpflichtet, diejenigen Personen, denen er die Erledigung der ihm als Vertreter der Steuerpflichtigen auferlegten steuerlichen Pflichten überträgt, sorgfältig auszuwählen und laufend zu überwachen. Er muss sich insbesondere ständig so eingehend über den Geschäftsgang unterrichten, dass er unter normalen Umständen mit der ordnungsgemäßen Erledigung der Geschäfte rechnen kann bzw. dass ihm ein Fehlverhalten des beauftragten Dritten rechtzeitig erkennbar wird.

Mangelhaftes Überwachen der zur Pflichterfüllung herangezogenen Personen hat der erkennende Senat regelmäßig als grob fahrlässige Pflichtverletzung („Überwachungsverschulden“) eingestuft, wenn er auch betont hat, dass die Entscheidung, welche Überwachungsmaßnahmen von einem Geschäftsführer zu treffen sind, wenn er die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten auf andere überträgt, weitgehend von den Umständen des Einzelfalls abhängt.

An die Überwachungsmaßnahmen eines Geschäftsführers müssen dabei um so größere Anforderungen gestellt werden, je weniger dieser sich auf Tatsachen gegründetes Urteil darüber bilden konnte, ob die für die Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft hinzugezogenen Personen die notwendige Gewähr der zuverlässigen Erledigung der steuerlichen Angelegenheiten der Gesellschaft bieten.

Auf das eigene Unvermögen, den Aufgaben eines Geschäftsführers nachzukommen, kann sich dabei niemand berufen. Wer den Anforderungen an einen gewissenhaften Geschäftsführer nicht entsprechen kann, muss von der Übernahme des Geschäftsführungsamtes absehen bzw. dieses niederlegen.

Wer hingegen die Stellung eines Geschäftsführers nominell und formell übernimmt, haftet, sofern ihm auch der Vorwurf persönlichen Verschuldens zumindest vom Grade grober Fahrlässigkeit gemacht werden kann, nach § 69 AO grundsätzlich auch dann, wenn er nicht befähigt oder aus irgendwelchen Gründen nicht in der Lage ist, seinen Überwachungsaufgaben nachzukommen.