Zufluss nicht ausgezahlter Tantiemen bei beherrschendem Gesellschafter-Geschäftsführer (BFH vom 05. Juni 2024, Rs. VI R 20/22)

Ein Mann und eine Frau in geschäftlicher Kleidung stehen zusammen und besprechen Finanzdokumente.

1      Praxishinweis

Der BFH hat in seinem Urteil vom 05. Juni 2024 zunächst die ständige Rechtsprechung bestätigt, nach welcher einem Gesellschafter-Geschäftsführer Tantiemeansprüche mit Fälligkeit zufließen. Der Zufluss erfolgt regelmäßig mit der wirksamen Feststellung des Jahresabschlusses. Ausnahmen gelten nur, sofern anderweitige (fremdübliche) Absprachen im Anstellungsverhältnis getroffen wurden.

Eine im, von der Gesellschafterversammlung festgestellten, Jahresabschluss nicht ausgewiesene Tantiemeforderung kann, abweichend von der Auffassung der Finanzverwaltung im BMF-Schreiben vom 12. Mai 2014, BStBl. I 2014, S. 860, nicht zufließen, da die Forderung mangels Feststellung im Jahresabschluss nicht fällig ist – selbst dann, wenn diese nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung (GoB) hätte passiviert werden müssen. Verstöße gegen die GoB begründen nicht die Fälligkeit eines Anspruchs.

2      Allgemein

Die Einkünfte eines Gesellschafter-Geschäftsführers aus dem Anstellungsverhältnis bei der Körperschaft, z.B. GmbH, unterliegen den Einkünften aus nicht selbständiger Arbeit nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Zum steuerpflichtigen Arbeitslohn des Gesellschafter-Geschäftsführer zählen als sonstige Bezüge darüber hinaus etwaige Tantiemen, die er von der Gesellschaft bezieht. Voraussetzung für die Besteuerung beim Gesellschafter ist der Zufluss der Tantieme (§ 11 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG). Der Zeitpunkt des Zuflusses einer solchen Forderungen war bereits wiederholt Streitgegenstand vom dem BFH. Die Verwaltungsaufassung bejaht einen Zufluss auch bei fehlender Bilanzierung eines gewinnmindernden Passivpostens auf Ebene der ausschüttenden Gesellschaft, sofern ein solcher nach den GoB zu bilden gewesen wäre (BMF vom 12. Mai 2014).

3      Sachverhalt

Im Revisionsverfahren zum Urteil der FG Baden-Württemberg vom 30. Juni 2022 (Rs. 12 K 58/20) wurde dem VI. Senat des BFH der nachfolgende Sachverhalt vorgelegt. Der Kläger (K) und Revisionsbeklage ist Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH, die im Alleineigentum des Gesellschafters steht. K erhält eine Tantieme i.H.v. 20 % des Jahresgewinns der GmbH. Die Auszahlung der Tantieme erfolgt einen Monat nach der Feststellung des Jahresabschlusses der GmbH und ist auf 30 % der jährlichen fixen Vergütung beschränkt. Da tatsächlich keine Zahlungen an K erfolgten, deklarierte dieser die Einkünfte nicht in seiner persönlichen ESt-Erklärung. Aufgrund einer Lohnsteuer-Außenprüfung ergingen geänderter ESt-Bescheide, welche die erhöhten Einkünfte inklusive der Tantiemen für die Jahre 2015 bis 2017 berücksichtigten. Das Finanzamt begründete dies damit, dass die Tantieme dem K zum Zeitpunkt der Bilanzerstellung zugeflossen sein (unabhängig von einem tatsächlichen Zahlungsfluss).

4      Urteil

Der VI. Senat hob das Urteil des FG Baden-Württemberg auf und verwies den Sachverhalt zurück an das vorlegende FG, da der BFH anhand der tatsächlichen Feststellungen des FG nicht abschließend urteilen kann, ob die Tantieme als Arbeitslohn anzusetzen ist (Verzicht vor oder nach Fälligkeit).

Grundsätzlich fließen die Einkünfte dem Steuerpflichtigen im Zeitpunkt der wirtschaftlichen Verfügungsmacht zu (ständige Rechtsprechung). Bei beherrschenden Gesellschafter-Geschäftsführern, wie K, gilt dies bereits im Zeitpunkt der Fälligkeit einer Forderung als erfüllt, sofern es sich um eine eindeutige und unbestrittene Forderung handelt. Bei einer Tantieme tritt die Fälligkeit regelmäßig mit Feststellung des Jahresabschlusses ein. Auch ein möglicher Forderungsverzicht stellt, für den werthaltigen Teil, eine verdeckte Einlage in die GmbH dar, da eine Mehrung des Vermögens und der Ertragsfähigkeit der Gesellschaft eintritt (vgl. BFH vom 09. Juni 1997, GrS 1/94, BStBl. II 1998, S. 307).

Voraussetzung für die verdeckte Einlage in eine GmbH ist jedoch u.a., dass der Körperschaft ein einlagefähiger Vermögensgegenstand zugewendet wird (z.B. durch Wegfall eines Passivpostens). Da die Tantiemeforderungen des K in den von der Gesellschafterversammlung festgestellten Jahresabschlüssen nicht abgebildet wurden, kann nach Auffassung des erkennenden Senats keine verdeckte Einlage vorliegen. Die Ansprüche des K waren in den Streitjahren nicht fällig. Nach Auffassung des BFH gilt dies unabhängig von einer etwaigen Passivierungspflicht der Verbindlichkeit nach den GoB (abweichend von der Verwaltungsauffassung), denn ein Verstoß gegen die GoB begründet nicht die Fälligkeit des Anspruchs.

Da die tatsächlichen Feststellungen für die Beurteilung des Vorliegens einer verdeckten Einlage nicht ausreichen (z.B. Gründe für die fehlenden Auszahlungen bzw. Passivierung der Verbindlichkeit), verweist der BFH die Rechtssache an das FG Baden-Württemberg zurück. Es bleibt zu klären, in welchem Zeitpunkt K auf die Forderung verzichtet hat, d.h. vor oder nach deren Entstehung. Nur bei einem Verzicht nach Entstehung der Forderung kann eine verdeckte Einlage und ein Zufluss von Arbeitslohn vorliegen.