Ermittlung der Restnutzungsdauer bei Gebäuden

Finanzgericht Münster, Urteil vom 27.01.2022 Az. 1 K 1741/18 E, rkr.

 

Sachverhalt:

Der Kläger erwarb im Rahmen eines Zwangsversteigerungsverfahrens ein freistehendes Dreifamilienhaus. Im Auftrag des Amtsgerichts wurde von einem öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen ein Wertgutachten für das Gebäude erstellt. Der Gutachter ging wegen „Modernisierung und Zustand am Stichtag“ (fiktiv) von einem Baujahr 1960 aus. Die Restnutzungsdauer des Gebäudes bestimmte er mit 30 Jahren.

Der Kläger machte daher anstelle der gesetzlich vorgesehenen 2% AfA in seiner Einkommensteuererklärung bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung eine höhere Abschreibung von 3,33% geltend. Es kam zum Streit.

 

Aus der Entscheidung:

Das Finanzgericht hat entschieden, dass entgegen der Auffassung des Finanzamtes ein höherer Abschreibungssatz von 3,33% p. a. anzuwenden ist.

Bei Wirtschaftsgütern deren Nutzung sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als 1 Jahr erstreckt, ist jeweils der Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzusetzen, der bei gleichmäßiger Verteilung der Kosten auf die Gesamtdauer der Nutzung auf 1 Jahr entfällt (= lineare Abschreibung). Die Abschreibung bemisst sich hierbei nach der betriebsgewöhnlichen Nutzungsdauer des Wirtschaftsguts.

Abweichend davon sind für die Abschreibungen von Gebäuden, die zur Erzielung von Einkünften genutzt werden, Prozentsätze festgelegt, § 7 Abs. 4 Satz 1 EStG, sog. gesetzliche Typisierung der Nutzungsdauer.

Stattdessen kann bei der Ermittlung der Abschreibung die tatsächliche kürzere Nutzungsdauer eines Gebäudes zugrunde gelegt werden.

Es ist Sache der Steuerpflichtigen im Einzelfall eine kürzere Nutzungsdauer darzulegen und nachzuweisen.

Entgegen der Auffassung des Finanzamtes ist die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer.