BFH-Urteil vom 31. August 2021 – II R 2/20
(veröffentlicht am 13. Januar 2022)
Sachverhalt in Kürze
Beteiligte im vorliegenden Fall aufgrund der komplexen Sachverhaltsgestaltung:
- Erblasser E
- Ehefrau F des E (Beschwerte, Alleinerbin des Erblassers E)
- Neffe N des Erblassers E (Vermächtnisnehmer nach Erblasser E)
- Kinder des Neffen N (Kläger und Revisionskläger)
Erblasser E beruft seine Ehefrau F als Alleinerbin, räumt seinem Neffen N jedoch ein Vermächtnis an einem Grundstück ein. Das Vermächtnis ist erst mit dem Tod der Ehefrau F (sog. betagtes Vermächtnis) fällig.
Der Neffe N verstirbt vor der Ehefrau F, sodass der Vermächtnisanspruch auf die Kinder des N übergeht.
Die Kinder erben das Vermächtnis nach Urteil des BFH von der Ehefrau F und nicht von ihrem Vater.
Sachverhalt
Im vorliegenden Urteil war der verstorbene Erblasser (E) Eigentümer eines Grundstücks. In einem notariell beurkundeten Testament hatte er seine Ehefrau (F) als Alleinerbin eingesetzt, das Grundstück jedoch mittels Vermächtnisses seinem Neffen (N) vermacht. Nach dem Testament sollte das Grundstück mit dem Tod des Erblassers anfallen, die Übergabe und Übereignung des Grundstücks konnte der Vermächtnisnehmer N jedoch erst mit dem Tod der Ehefrau F verlangen.
Sofern der Neffe das Vermächtnis selbst nicht mehr in Anspruch nehmen konnte, würde dies auf dessen eheliche Abkömmlinge übergehen. Der Neffe selbst verstarb 2011 und sollte durch seine Kinder (Kläger und Revisionskläger) beerbt werden.
2012 verstarb die Ehefrau F des Erblassers und somit wurde das Grundstück in Erfüllung der testamentarischen Verpflichtung auf die Kinder des N jeweils anteilig übertragen.
Das beklagte Finanzamt setzte in dem Bescheid gegenüber den Klägern (Kinder des Neffen N) Erbschaftsteuer für das Vermächtnis von Todes wegen von der Ehefrau F des Erblassers fest. Die Kinder des Neffen N hatten die Anwendung der Steuerklasse I beantragt, das Finanzamt wandte jedoch die Steuerklasse III an. Das Einspruchsverfahren blieb erfolglos und das zuständige Finanzgericht wies die Klage ebenfalls ab.
Die Kinder des Neffen N hatten argumentiert, dass es sich um ein Nachvermächtnis i. S. d. § 2191 BGB handelte, sodass gem. § 6 Abs. 1 i.V.m. § 6 Abs. 4 ErbStG der Erwerb als von N stammend zu behandeln sei (Erbe von Vater an Kinder). Das FG bestätigte zwar, dass es ein Nachvermächtnis sei, jedoch sei es nur gerechtfertigt einen Erwerb nach § 6 Abs. 2 S. 1 ErbStG zu fingieren, wenn bei diesem nach § 6 Abs. 1 ErbStG ein Vollerwerb stattfinde. Fehle es an diesem wegen einer hinausgeschobenen Fälligkeit, bleibe es bei dem Erwerb unmittelbar vom Erblasser als Vermächtnisgeber.
Entscheidung des BFH
Amtliche Leitsätze
Der Vermächtnisnehmer eines beim Tod des Beschwerten fälligen Vermächtnisses erwirbt erbschaftsteuerlich vom Beschwerten
Fällt der erstberufene Vermächtnisnehmer vor Fälligkeit des Vermächtnisses weg, erwirbt der zweitberufene Vermächtnisnehmer ebenfalls vom Beschwerten und nicht vom erstberufenen Vermächtnisnehmer
Das vorliegende Vermächtnis stellt erbschaftsteuerrechtlich einen Erwerb von Todes wegen gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. ErbStG nach F (Ehefrau des Erblassers) dar. Dies folgt dem BFH nach aus § 6 Abs. 4 Alternative 2 ErbStG. Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten (Ehefrau F) fällig sind, werden über eine Gleichstellung mit den Nacherbschaften erbschaftsteuerrechtlich im Wesentlichen so behandelt wie Vermächtnisse, die beim Tod des Beschwerten anfallen.
Der Anfall der Nacherbschaft gilt grundsätzlich als Erwerb vom Vorerben, § 6 Abs.1 ErbStG. Sein Erwerb unterliegt in vollem Umfang der Erbschaftsteuer. Bei Eintritt der Nacherbfolge haben nach § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG diejenigen, auf die das Vermögen übergeht, den Erwerb als vom Vorerben stammend zu versteuern. Hierbei handelt es sich um eine gesetzliche Fiktion, wonach der Nacherbe als Erbe des Vorerben gilt.
Gemäß § 6 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 ErbStG ist auf Antrag das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde zu legen. Diese Systematik wird in § 6 Abs. 4 ErbStG auf Vor- und Nachvermächtnisse sowie auf Vermächtnisse, die erst mit dem Tod des Beschwerten fällig werden (betagte Vermächtnisse), übertragen.
Unterschied Vor- /Nachvermächtnis und betagtes Vermächtnis
Nach § 6 Abs. 4 Alternative 1 ErbStG stehen Nachvermächtnisse den Nacherbschaften gleich. Sowohl bei Anfall des Vorvermächtnisses als auch bei Anfall des Nachvermächtnisses entsteht Erbschaftsteuer. Wird der Vorvermächtnisnehmer entsprechend § 6 Abs. 1 ErbStG als Vermächtnisnehmer nach dem ursprünglichen Erblasser behandelt, unterliegt sein Vermächtniserwerb der Erbschaftsteuer, ohne dass die Beschränkungen durch das Nachvermächtnis berücksichtigt werden können.
Der Nachvermächtnisnehmer hat entsprechend § 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG bei Eintritt des Nachvermächtnisfalls den Erwerb seines Vermächtnisses als vom Vorvermächtnisnehmer stammend zu versteuern und kann nur nach Maßgabe von § 6 Abs. 2 Sätze 2 bis 5 ErbStG auf Antrag der Versteuerung sein Verhältnis zum Erblasser zugrunde legen.
Diese Konstellation war im vorliegenden Fall jedoch nicht gegeben. Mit dem Erbfall des E entstand noch kein Steuertatbestand bei dem Neffen N. Somit liegt diese Konstellation nicht vor.
Nach § 6 Abs. 4 Alternative 2 ErbStG stehen beim Tod des Beschwerten (in diesem Fall die Ehefrau F) fällige Vermächtnisse (und Auflagen) den Nacherbschaften gleich. Diese Vorschrift spricht das sog. betagte Vermächtnis an, das zwar mit dem Erbfall entsteht, dessen Fälligkeit jedoch auf einen späteren Termin hinausgeschoben ist.
Im vorliegenden Fall war diese Situation gegeben. Mit dem Tod des Erblassers E entstand der Anspruch des Neffen N auf das Grundstück. Dieser Anspruch war jedoch bis zum Tod der Ehefrau F hinausgeschoben (betagtes Vermächtnis). In diesem Fall liegt aber keine aufschiebende Bedingung im eigentlichen Sinne vor, sondern ein für die Erbschaftsteuer eigener Tatbestand, welcher erst mit dem Tod der Ehefrau F ausgelöst wurde.
Problematisch an dem vorliegenden Fall war jedoch, dass der Neffe N als ursprünglicher Vermächtnisnehmer zum Zeitpunkt des Todes der Ehefrau F selbst nicht mehr am Leben war. In der Folge sah das Testament vor, dass der Anspruch auf das Vermächtnis auf die Kinder des N übergeht.
Diese waren der Ansicht, sie würden den Anspruch von ihrem Vater (Neffe N) erben. Dies ist nach den Ausführungen des BFH jedoch gerade nicht so. Hiernach erwerben die Kinder des N direkt von der Ehefrau F, da ein eigener Steuertatbestand durch den Tod der Ehefrau ausgelöst wird und sie dieses Vermächtnis an die Kinder des N „vererbt“. Daher war die Anwendung der Steuerklasse III korrekt. (Im vorliegenden Fall ist mit dem Tod des Erblassers E noch kein steuerbarer Vermächtniserwerb für den Neffen N entstanden. Auch im Zeitpunkt des Todes von N liegt noch kein Vermächtniserwerb vor. Bis zum Tod der Ehefrau F ist das Vermächtnis nicht fällig).
Der zentrale Unterschied zwischen den beiden Alternativen besteht in der Ausgestaltung des Vermächtnisses. Bei einem Vor- und Nachvermächtnis (Alternative 1) entsteht jeweils ein Steuertatbestand und der Nachvermächtnisnehmer erbt direkt vom Vorvermächtnisnehmer. Wäre das Testament so gestaltet worden, hätten die Kinder direkt von ihrem Vater (Neffe N) geerbt und die Steuerklasse I wäre zur Anwendung gekommen.
Bei dem betagten Vermächtnis (Alternative 2) ist dies nicht der Fall. Hier entsteht erst mit dem Tod des Beschwerten (im vorliegenden Fall die Ehefrau F) der Steuertatbestand. Zu diesem Zeitpunkt war N jedoch schon verstorben, sodass der Vermächtnisanspruch auf die Kinder des N überging. Entsprechend haben die Kinder des N von der Ehefrau F im Zeitpunkt ihres Todes das Vermächtnis erworben. Hierdurch kam es zur Anwendung der Steuerklasse III.
Hinweise und Empfehlungen
Bei Gestaltungen in Testamenten mit Vermächtnissen, insbesondere Vor- und Nachvermächtnissen, ist entsprechend dem o.g. Urteil genau auf die erbschaftsteuerlichen Folgen zu achten. Vor allem mit Blick auf die Feinheiten der Steuerentstehung und die daraus resultierenden Folgen (Steuerklasse I vs. III) können hier erhebliche Unterschiede in der Steuerlast des Vermächtnisnehmers liegen.
Wir helfen Ihnen gerne bei der Gestaltung!