Der Fall:
Der Kläger hatte im Jahr 2009 Aktien an einer börsennotierten inländischen AG erworben, die in einem Depot verwahrt wurden. Er war an der AG zu weniger als 1 % beteiligt. Die Aktien waren Bestandteil seines steuerlichen Privatvermögens. Über das Vermögen der AG wurde im Jahr 2012 das Insolvenzverfahren eröffnet.
Die Aktien wurden zum 31.12.2013 im Depot des Klägers noch mit einem Stückpreis ausgewiesen.
Der Kläger machte im Rahmen seiner Einkommensteuerfestsetzung 2013 einen Totalverlust geltend und beantragte, den Verlust mit anderen Gewinnen aus der Veräußerung von Aktien zu verrechnen, die er im Jahr 2013 erzielt hatte. Die Finanzverwaltung folgte seinem Begehren nicht.
Zum Zeitpunkt des Ansatzes des Wertverlustes äußert sich der BFH im Urteil vom 17.11.2020, VIII R 20/18, wie folgt:
- Erlischt das Mitgliedschaftsrecht des Aktionärs einer inländischen AG, weil sie in Folge einer Insolvenz aufgelöst, abgewickelt und im Register gelöscht wird, entsteht dem Aktionär ein steuerbarer Verlust, wenn er seine Einlage ganz oder teilweise nicht zurückerhält.
- Der Verlust entsteht bereits vorher, wenn solche Aktien schon vor der Löschung im Register durch die depotführende Bank aus dem Depot des Aktionärs ausgebucht werden.
- Der Verlust entsteht aber nicht bereits zu dem Zeitpunkt, zu dem mit einer Auskehrung von Vermögen im Rahmen der Schlussverteilung des Vermögens der AG objektiv nicht mehr zu rechnen ist oder die Notierung der Aktien an der Börse eingestellt oder deren Börsenzulassung widerrufen wird.
Mit dem BFH-Urteil ist eine planwidrige Gesetzeslücke geschlossen worden!
Auf diese Vorgänge ist der Veräußerungstatbestand gem. § 20 Abs. 2 EStG entsprechend anzuwenden. Danach entsteht ein steuerbarer Verlust für den Aktionär erst, wenn er aufgrund des rechtlichen Untergangs seiner Mitgliedschaftsrechte oder der Ausbuchung der Aktien aus dem Depot einen endgültigen Rechtsverlust erleidet.
Bezogen auf den Beispielsfall:
Der Kläger hat im Jahr 2013 zwar einen Wertverlust hinnehmen müssen, dieser hat aber weder den Bestand seines Mitgliedschaftsrechts berührt, noch sind die Aktien aus dem Depot des Klägers ausgebucht worden. Folglich konnte der Verlust bei der Festsetzung der Einkommensteuer 2013 noch nicht berücksichtigt werden.
Hinweis:
Das BFH Urteil hat Bedeutung für Aktien, die nach dem 31.12.2008 erworben worden sind und bei denen der Untergang des Mitgliedschaftsrechts oder die Depotausbuchung in den Veranlagungszeiträumen von 2009 bis einschließlich 2019 stattgefunden hat.
Für Veranlagungszeiträume ab 2020 hat der Gesetzgeber in § 20 Abs. 6 Satz 6 EStG geregelt, dass Verluste aufgrund einer Ausbuchung wertloser Aktien und eines sonstigen Ausfalls von Aktien steuerbar sind und einer eigenständigen Verlustverrechnung unterliegen. Damit ist die vorherige gesetzliche Lücke geschlossen worden!